apetito: „Eine Scope 3-Erhebung ist eine Gemeinschaftsaufgabe“

Apetito:
„Eine Scope 3-Erhebung ist eine Gemeinschaftsaufgabe."

Scope 3-Emissionen sind komplex. Sie zu erheben kann für Unternehmen herausfordernd sein, dennoch sind sie entscheidend, um eine ganzheitliche unternehmerische Klimaschutzstrategie zu entwickeln. Auch die apetito AG hat sich in diesem Jahr auf den Weg gemacht, ihre Scope 3-Emissionen zu ermitteln und dabei einige Stellschrauben entdeckt. Auf Basis der Daten können nun konkrete und erreichbare Klimaschutzziele gesetzt werden. Im Interview spricht Thomas Reich, Geschäftsleiter Marketing, Business Development & Nachhaltigkeit bei apetito, über Chancen und Herausforderungen beim Erheben von Scope 3-Emissionen.

Thomas Reich
Geschäftsleiter Marketing, Business Development & Nachhaltigkeit, apetito AG

Sie haben in diesem Jahr erstmalig Ihre Scope-3-Emmissionen ermittelt. Was hat Sie dazu veranlasst?

Unser Ziel ist es, eine Klimaschutzstrategie zu entwickeln, die dort wirkt, wo wesentliche CO2-Emissionen durch unsere Geschäftstätigkeit auftreten. Das sind zu besonders hohen Anteilen keine direkt durch apetito emittierten Emissionen. Dazu ist die Erhebung der Scope 3-Emissionen elementar. Seit vielen Jahren monitoren wir bereits unsere direkt ausgelösten Ressourcenverbräuche. Doch genauso wichtig ist es, auch die indirekt durch die Geschäftstätigkeit ausgelösten Emissionen zu ermitteln. Nur wenn sich Unternehmen auch mit Fragen beschäftigen, woher ihre Rohwaren bezogen werden, wie die eigenen Mitarbeiter*innen zum Arbeitsplatz kommen oder wie klimafreundlich das verwendete Verpackungsmaterial gestaltet ist, kann ein ganzheitliches Bild der unternehmerischen Klimaschutzaktivitäten gezeichnet werden.

 

Welche Überraschungen gab es bei der Auswertung?

Die Ergebnisse zeigen uns beides: Erwartbares, aber auch Überraschendes. Dass der Rohwarenbezug in der Ernährungsbranche eine gemeinhin hohe Bedeutung unter den Emissionskategorien besitzt, kommt für uns wenig überraschend. Nahezu 83% der durch unsere Geschäftstätigkeit ausgelösten Gesamtemissionen entstehen indirekt in der Lieferkette. Und auch die Emissionstreiber rotes Fleisch, Milchprodukte und Reis sind wenig überraschend. Erstaunter waren wir z.B. über die Tatsache, dass mehr als zehn Prozent unserer Scope III-Emissionen auf die nachgelagerte Logistik, also den Transport unserer Speisen zu unseren Kund*innen, entfallen. Das zeigt einmal mehr, dass es auch für uns noch Stellschrauben gibt, an denen wir drehen können, um unsere Emissionen weiter zu senken.

 

In welchen Bereichen war die Erhebung am aufwändigsten?

Grundsätzlich kann man festhalten, dass eine Scope III-Erhebung immer einen recht hohen Aufwand in der jeweiligen Fachabteilung generiert. Welche Strecke habe ich wann mit der Bahn, dem Flugzeug oder dem Leihauto zurückgelegt? Wo kommt das Obst im Ursprung her, das beim Großhandel bezogen wird? Und wie viel Wasser habe ich im gemieteten Außenlager verbraucht? Die Sammlung von nachhaltigkeitsbezogenen Primärdaten ist für viele Abteilungen Neuland. Entsprechend lange dauert die Datenaufnahme und nahm bei uns rund ein halbes Jahr in Anspruch. Besonders aufwändig war die Erhebung für den Einkauf und die dezentrale Logistik. Für Folgeerhebungen rechnen wir mit einer schnelleren Datenaufnahme.

„Unser Ziel ist es, eine Klimaschutzstrategie zu entwickeln, die dort wirkt, wo wesentliche CO2-Emissionen durch unsere Geschäftstätigkeit auftreten.“

Mit welcher Detailschärfe wurden die einzelnen Kategorien ausgewertet?

Zunächst einmal schauen wir auf die nach Green House Gas Protocol (GHG) relevanten Scope III-Emissionskategorien. Wir hatten das Ziel, möglichst präzise Primärdaten zu ermitteln. Für manche Emissionskategorien lässt es sich nicht vermeiden, auf Annahmen und Interpolationen zu verzichten. In den nächsten Jahren ist es denkbar, dass wir unsere Scope III-Emissionen dann auch vollständig ermitteln. Das gilt besonders dann, wenn wir die Datensammlung der Scope III-Emissionen bei uns im Unternehmen etabliert haben. Wir vertrauen aber auch auf die Erfahrung unseres Dienstleisters, der fjol GmbH, im Umgang mit unseren Scope III-Daten.

 

Für welche Emissionskategorien hat apetito keine Daten erhoben?

Auf Basis der Beratung durch unseren Dienstleister, die Datenverfügbarkeit und der Wesentlichkeit einzelner Emissionsquellen haben wir im Einklang mit dem GHG die Emissionskategorien Anlagegüter, energiebedingte Aktivitäten, vor- und nachgelagerte Leasinggüter, die Warennutzungsphase sowie Investitionen noch nicht in die Betrachtung der Scope III-Datenerhebung eingeschlossen. Wir gehen aber auch selbst davon aus, dass diese Emissionsquellen mit Ausnahme der Nutzungsphase, keinen besonderen Einfluss auf den gesamten Corporate Carbon Footprint (CCF) des Unternehmens haben werden.

 

Sie arbeiten mit vielen verschiedenen Rohwaren aus diversen Ländern. Wie erfassen Sie deren Klimabilanzen?

Wir erfassen über unser SAP systematisch Warenherkunft und Warenursprung bereits bei der Platzierung der Bestellung. Man muss verstehen, dass unsere Rohwaren eine verzweigte Lieferkette haben. Trotzdem haben wir in unserem Einkauf einen Zugriff auf den Warenursprung. Nur wenn wir diesen kennen, ist uns eine genaue Bestimmung der Scope III-Emissionen für alle Rohwaren möglich. Die Abfrage der Daten bei den Lieferanten hat bei erstmaliger Durchführung einige Wochen in Anspruch genommen. Neben der Anfrage von apetito sind es jedoch immer mehr Unternehmen, die lieferkettenbezogene Nachfragen stellen. Das liegt neben dem Klimaschutz auch an kundenseitig gesteigerten Anforderungen bei der Lieferkettentransparenz und der neuen Gesetzgebung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes. Unsere Nachfrage nach herkunftsbezogenen Daten bei unseren Lieferanten ist daher für viele Lieferanten nichts Besonderes mehr.

 

Wie war die Zusammenarbeit mit den Kollegen bezüglich der Pendler- und Geschäftsreisedaten?

Geschäftsreisedaten halten wir über unsere Finanzbuchhaltung sowie unseren Dienstleister bereit. Hier gilt es lediglich zwischen den Verkehrsträgern zu unterscheiden und die unterschiedlichen Datenquellen zusammenzutragen. Teilweise muss auch an dieser Stelle interpoliert werden, da zum Beispiel bei Inanspruchnahme eines Leihwagens keine Erfassung der gefahrenen Kilometer, sondern ausschließlich der verursachten Kosten erfolgt.

Komplizierter wird es bei der Erfassung der Pendeldaten unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Hier liegen uns anonymisiert die Adressdaten und Anfahrtswege vor. Über unser Intranet haben wir eine Umfrage zum Mobilitätsverhalten unserer knapp 2.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durchgeführt und konnten den Verkehrsmix der apetito Belegschaft hochrechnen. Immerhin haben mehr als 500 Mitarbeitende an unserer freiwilligen Umfrage teilgenommen, sodass wir einen guten Eindruck des Mobilitätsverhaltens unserer Belegschaft ermitteln konnten. Die Coronapandemie hat auch dem Arbeiten aus dem Homeoffice einen Vortrieb gegeben. Das haben wir ebenfalls berücksichtigt und in die Befragung mit einbezogen.

Was ergibt sich nach Berechnung? Was sind die nächsten Schritte?

Das ist der entscheidende Punkt, an dem wir nun stehen. apetito hat auch schon vor der jetzigen Errechnung der indirekt durch die Geschäftstätigkeit ausgelösten Scope III-Emissionen Klimaschutz betrieben und das Datenmanagement bei der Sammlung umwelt- und ressourcenbezogener Daten über die Jahre professionalisiert. Seit 1998 sind wir bereits durch das Environmental Management Audit Scheme (EMAS) zertifiziert, seit 2017 setzen wir in unseren eigenen Liegenschaften zu 100% Ökostrom ein und seit 2020 erreichen wir durch Kompensationsprojekte eine klimaneutrale Herstellung am Standort in Rheine. Jährlich investieren wir auch unter Effizienz- und Klimaschutzgründen in unsere Anlagentechnik. Wir treiben bereits viele Klimaschutzmaßnahmen voran. Uns fehlt aber bislang das klare Ziel, auf das wir in Bezug auf unsere Emissionen hinwirken. Deshalb gilt es nun, mittel- und langfristige Klimaschutzziele zu entwickeln, die im Einklang mit dem Pariser Klimaschutzabkommen stehen. Dabei ist es uns wichtig, dass diese robust, glaubwürdig und erreichbar sind. Wir möchten eben nicht nur in Kompensationsprojekte fernab unserer Geschäftstätigkeit investieren, um eine Abscheidung unserer CO2-Emissionen zu erreichen.

 

In welchen zeitlichen Abständen wollen sie künftig die Daten aktualisieren und eventuell nachschärfen?

Dazu haben wir noch keine endgültige Entscheidung getroffen. Die meisten Unternehmen erfassen ihre Scope III-Emissionen alle zwei Jahre. Ein solcher Turnus ist auch für uns mindestens angestrebt. So können wir auch sicherstellen, dass die gesammelten Erfahrungen nicht verloren gehen und eine kontinuierliche Datenerhebung stattfindet. Wichtiger ist uns aber, nicht nur eine Sammlung von Daten, sondern viel mehr die Entwicklung einer Klimaschutzstrategie voranzutreiben.

 

Was empfehlen Sie anderen Unternehmen, die Ihre Scope-3-Berechnungen noch vor sich haben?

Bevor man sich zur Scope III-Datenaufnahme entschließt, sollte man über eine vollständige Datenerfassung der direkt ausgelösten Scope I-Emissionen verfügen. Ebenso wichtig ist ein Überblick über alle Scope II-Emissionen aus eingekaufter Energie, wie Strom, Wasserdampf oder Fernwärme. Erst wenn diese elementaren Kennzahlen vorliegen, macht es Sinn, mit der Scope III-Datenerhebung den nächsten Schritt der Aufnahme zu gehen. Für die apetito AG hat die seit 1998 bestehende EMAS-Zertifizierung eine sehr gute Datenbasis geschaffen. Das war sehr hilfreich und erlaubt ein ständiges Tracking unserer eigenen Ressourcenverbräuche.

Eine Scope III-Datenaufnahme kann nicht von einer Einzelperson bewältigt werden, sondern ist immer eine Gemeinschaftsaufgabe. Vor Beginn sollten alle einzubindenden Fachabteilungen ihr Einverständnis für die aufzuwendenden Ressourcen bei der Datenaufnahme bestätigen und einen möglichst verbindlichen Zeitplan aufstellen.

 

Was wünschen Sie sich von der Politik im Hinblick auf die angestrebte Klimaneutralität?

Die Politik sollte anstreben, den Begriff der „Klimaneutralität“ genauer zu bestimmen. Damit Verbraucher*innen transparenter wahrnehmen können, welche Unternehmen sich wirklich glaubwürdig mit dem Thema Klimaschutz beschäftigen. Integrer und ernstgemeinter Klimaschutz darf für Unternehmen auf nationaler, aber auch auf internationaler Ebene nicht zum Wettbewerbsnachteil werden. Es braucht standardisierte und gleichförmige Rahmenbedingungen für alle Unternehmen. Nichtsdestotrotz versucht apetito beim Klimaschutz allein aus einem Verantwortungsbewusstsein voranzugehen.

„Integrer und ernstgemeinter Klimaschutz darf für Unternehmen auf nationaler, aber auch auf internationaler Ebene nicht zum Wettbewerbsnachteil werden.“

Das Interview führte Nancy Langnickel von der BVE mit Thomas Reich, Geschäftsleiter Marketing, Business Development & Nachhaltigkeit bei apetito.